Kurzgeschichten


Der Schreiber

Nicht wie in seinem Glaubenskreis üblich, von Sonntag zu Sonntag besteht sein Dasein; Nein, sein Rhythmus bewegt sich wie der eines aus dem Abendland Stammenden.
Schon früh am Morgen steht er, wie jeden Freitag gut gelaunt, mit freudiger Haltung aus dem Bette aus. Die Stunden zwischen dem hageren Frühstück, welches lediglich aus einem dünnen Kaffee besteht, der anschliessenden Körperpflege und dem Eintreffen des Postbotens erscheinen ihm wie eine Ewigkeit. In diesen paar Stunden ist er da, in dieser Welt, hellwach und voller Ungeduld. Ungeduld, ja das ist die richtige Vokabel!
Hat sie an ihn gedacht, ihn diesmal berücksichtigt?
Noch immer wartet er auf den Postboten, schaut aus dem Fenster, die Strasse hinauf und die Strasse hinunter. Noch immer ist nichts von ihm zu sehen. Kurz vor elf, jetzt müsste er kommen. Unter dem Zwang seiner Ungeduld, schaut er alle paar Sekunden auf seine alte Armbanduhr. Die Armbanduhr die er damals zu Konfirmation von seinem seligen Vater erhalten hatte. Der, der ihn stets ermahnt hatte einen anständigen Beruf zu erlernen. Dann, kurz nach elf, er hört das Mofa des Postbotens herannahen. Eilig geht er die Treppe hinunter, reisst die Eingangstüre fast aus deren Angel und hält wie jeden Freitag dem Postboten die Hand entgegen. Der Postbote weiss längst, dass ihm diese nicht zur Begrüssung entgegen gehalten wird. Wie jeden Freitag legt er ihm auch diesmal seine Post in die entgegengestreckte Hand. Es ist nicht viel, das er ihm in die Hand legt. Ein paar Rechnungen, ein paar Mahnungen und die Zeitung. Die Zeitung, nicht mehr und nicht minder möchte er vom Postboten, nur die Zeitung, denn es ist Freitag. Er eilt so schnell ins Haus wie er es vor ein paar Minuten verlassen hatte. Die Rechnungen und die Mahnungen legt er fein säuberlich, wie jeden Freitag, in den dafür vorgesehenen Wäschekorb am Treppenabgang zum Keller. Dort hat er den Wäschekorb platziert, bewusst dort, damit er diesen nicht jedes Mal ansehen muss, wenn er in die Küche oder zur Toilette muss. Zu sehr lässt ihn dessen Anblick, seinen Gemütszustand in eine unendliche Trostlosigkeit abtauchen. Nur das eine Mal in der Woche schafft er dies ohne gleich in eine depressive Stimmung zu verfallen. Es ist der Freitag, wenn die Zeitung kommt und er voller Zuversicht ist.
Wie jeden Freitag bereitet er sich eine kleine Zeremonie, bevor er die Zeitung aufschlägt: Abermals brüht er sich einen dünnen Kaffee auf, gönnt sich heute eine etwas dickere Brotscheibe und dazu ein Stück Käse. Wie liebt er den Geruch von Käse. An jedem Freitag taucht er, beim Geruch von Käse für einen kurzen Moment ab in seine Kindheit, denkt dabei an seine geliebte Grossmutter und den Käse den sie ihm jeweils zum Abendbrot servierte.
Längst hat er die Zeitung aufgeschlagen. Er blättert die Seiten vor und zurück. Seine Hoffnung schwindet mit jeder Seite mehr, bis sein Gemütszustand einen absoluten Tiefpunkt erreicht. Demütig fast schon devot legt er die Zeitung zur weiteren Verwendung in den Toilettenraum und begibt sich wie jeden Tag in sein kleines, dunkles Kämmerlein, das lediglich durch das düstere Licht eines von der Decke hängenden Lampenpendels spärlich beleuchtet wird. Ein kleiner Holztisch inmitten des Raumes, an diesem ein alter Holzstuhl steht. Ein Bett und ein einfacher alter Eichenschrank zieren diese kärgliche Kammer.
Wieder wird er sich hinsetzen, wieder einen Artikel verfassen und wieder hoffen, dass dieser veröffentlicht und ihm ein paar Franken einbringen wird.
Schon lange müht er sich mit dem Einfall von geistreichen Themen, heute aber überlegt er lange, sehr lange: Es ist Herbst, Mykologie würde sich anbieten, oder da demnächst wieder Wahlen anstehen eher Politik? Stunden später die schöpferische Erleuchtung. Er entscheidet sich für einen Artikel über die hohe Suizidrate in seinem Heimatland.